Psychographie der Regionalentwicklung

14.10.2012

Vorab wie immer ein Wort an meinen Fanclub, der aufmerksamst meine Blogs im Netz studiert. Auch dieser Text gehört m. E. in den verfassungsrechtlich geschützten Bereich der freien Meinungsäußerung und stellt eine rein subjektive Betrachtung meines Alltags dar. Verbindungen zu realen Geschehnissen sind eher zufällig und als Inspirationen zu bewerten, die diese Texte erst entstehen lassen. Es liegt mir fern, handelnde Personen zu diffamieren oder deren Leistungen in Abrede zu stellen. Handlungen sind das Salz in der Suppe und es steht in einer freien Welt, wie der unseren in meinem Land, jedem frei, diese Handlungen in Geschichten, Betrachtungen, kleinen Essays kritisch zu beschreiben oder eben auch roman- und fabelhaft zu reflektieren. Das Recht, seine eigenen Gedanken  zu äußern – DAS ist Freiheit. Die Gedanken sind frei! Ich finde es wirklich fragwürdig, dass ein Teil meines Fanclubs dann immer wieder das Haar in der Suppe sucht. Sind denn meine Worte nicht allerfeinsten sortiert und gewählt?!

Die Psychographie einer Regionalentwicklung am Fallbeispiel eines ehemaligen Zonenrand-Landkreises

Die  Diskussion der psychologischen, gesellschaftlichen wie auch individuellen Situationen bei der Bildung von Regionen durch soziale Gruppen wird in der wissenschaftlichen Diskussion für gewöhnlich interfakultativ und interdisziplinär geführt.

In der Soziodemographie wie auch in der Psychoanalyse von Individuen und Gruppen von Handelnden und Entscheidenden sind Psychogramme ein geeignetes Instrument, um den sensuellen, emotional-evaluierenden und kategorisierenden Aspekt des Einzelnen und von Gruppen in abstrahierter Form und damit dem kritischen Diskurs präsentierend abzubilden.

Hier wird nun ein Ansatz  dargestellt, der eine geographisch verortete Landschaft in den Kontext der dazugehörigen historischen Situationsevaluation und der individuellen wie sozialen Psychosozialisation stellt.

Ein gewagter Ansatz und sicherlich in vielen Belangen noch völlig unausgereift, deshalb auch eher theoretischer Natur und ganz sicher mit dem Hinweis an die Lesenden verfasst, diese Betrachtung manchmal kritisch, manchmal humorvoll zu studieren.

Das Psychogramm einer Regionalentwicklung stellt b.a.w. folgende Parameter dar:
–    den sozial-historischen Aspekt
–    den politisch-administrativen Aspekt
–    den individuell-kognitiven Aspekt
–    den sozioökonomisch perspektivischen Aspekt

Als Fallbeispiel wähle ich den Landkreis Helmstedt aus. Warum gerade den? Ganz einfach, weil ich mich als Spezialist für dieses Gebiet bezeichnen darf.

Der sozial-historische Aspekt

Eine Landschaft und die in ihnen lebenden Menschen sind in ihrer Gemeinschaft, die natürlichen Bewegungen ausgesetzt ist durch Fort- und Zuzüge, Geburten- und Sterberaten, immer auch unter einem abstrahierten sozial-historischen Aspekt zu betrachten. Dabei kann man nicht ein geschlossenes System konstatieren sondern muss sich auf eine Ebene bewegen, die bestimmte soziale Strömungen in einem historischen Kontext abstrahiert und kategorisierend darstellt.

Zum Beispiel ist die Frage interessant, wie lange existiert der Landkreis Helmstedt und was ist ihm in dieser Zeit begegnet? Welchen politischen, gesellschaftlichen Strömungen war er ausgesetzt?
Der Landkreis Helmstedt z. B. ist über 175 Jahre alt. Das heißt, in dieser Zeit war er verschiedenen politisch-administrativen und gesellschaftlichen Systemen ausgesetzt, die in seinem Falle sogar geopolitische Konsequenzen nach sich zogen. Dieser Landkreis hat, wie viele andere in Deutschland auch, die Gründung des deutschen Staatswesen von Beginn an erlebt. Er hat, wie einige andere Landkreise auch, die Folgen des zweiten Weltkriegs hautnah und unmittelbar in seinen Folgewirkungen erlebt. Schon immer lag dieser Landkreis in einem Grenzgebiet, das schon seit Jahrhunderten Schauplatz von Streitigkeiten zwischen den Herrschenden war. Die nahe Elbe bei Magdeburg hat als natürlicher Grenzsaum dabei eine sehr bedeutende Rolle gespielt. An ihr haben sich bei genauem Hinsehen seit Jahrhunderten die politisch administrativen und militärischen Systeme immer wieder getroffen und waren dennoch durch diesen gewaltigen Fluss auch immer getrennt.

Der politisch-administrative Aspekt wird hier auf die neuere deutsche Geschichte begrenzt.

Seit 1945 nun – also zum Ende des zweiten Weltkriegs – wurde eine Grenze gezogen, die die über das Schreckensregime des deutschen Nationalsozialismus obsiegenden Alliierten vereinbart hatten. Kurz nachdem noch Tausende Menschen an der Elbe in den Kriegsszenarien bis April 1945 gestorben waren, zogen die alliierten neuen Machthaber eine militärisch-politische Systemgrenze, die fast 50 Jahre lang nur an ganz bestimmten und sehr auserlesenen und perfide abgesicherten Durchlassstellen (z. B. bei Marienborn/Helmstedt) passierbar war. Und damit wurden alle sozialen, ökonomischen und selbst natürlichen Austausche rigide beendet. Die ehemalige innerdeutsche Grenze als geopolitische Grenze zwischen den Machtblöcken des Ostens und des Westens trennte die Menschen, die Natur, alles. Und sie wurde für die Menschen im Landkreis Helmstedt zur gelebten Normalität. Hier war die freie Welt zu Ende oder umgekehrt, hier begann sie für Menschen aus Berlin West. Auf der westlichen Seite wurde unter genauer Beobachtung der westlichen Alliierten freiheitlich demokratisch regiert, auf der östlichen Seite herrschte das gleichschaltende und -machende, sozialistische System nach dem Vorbild der Sowjetunion vor. Für die Menschen im Landkreis Helmstedt bedeutete das, sie lebten fortan mit einer einseitig geschlossenen politisch-administrativen Situation und sie mussten, ob sie wollten oder nicht, eine sozial-ökonomische Ausrichtung in Richtung Westen akzeptieren und vor allem auch als Alltag leben. Es gab so gut wie keinen Austausch zwischen den Administrationen wie auch den politischen Gestaltungskräften zwischen Ost und West. Hier war die „freie“ Welt zu Ende!
Und selbst nach 1989 – also nach dem Fall der Berliner Mauer und nach der deutsch-deutschen Wiedervereinigung im November 1990 war für viele Bürger im Landkreis Helmstedt das östliche Bundesland Sachsen-Anhalt immer noch die „Zone“.

Der individuell-kognitive Aspekt fokussiert bei dieser Betrachtung in einem kurzen Abriss auf  ein mögliches Szenario aus Sicht eines Individuums, das sowohl das Ende des 2. Weltkriegs und dessen Folgeerscheinungen als auch die lange Zeit bis zur deutsch-deutschen Wiedervereinigung und das beginnende 2. Jahrtausend erlebt (hat). Wenn Menschen in einer Landschaft aufwachsen und leben, die eine einseitige, undurchlässige Grenze aufzuweisen hat, dann prägen sich in bestimmten Phasen des Lebens auch dazugehörige Lebensanschauungen. Dieses unüberwindliche Anderssein wird auf der westlichen Seite noch dadurch verstärkt, dass politische-wirtschaftliche Informationsnetzwerke den Eindruck vom einseitigen Abgeschnittensein ständig ins Bewusstsein rückten (was im Übrigen auch für die östliche Seite der heutigen Landesgrenze galt und dort noch viel stärker ausgeprägt war).

Durch Besuche an dieser Grenze, im beruflichen Alltag – ständig – war diese Grenze und die eigene Lebenssituation gegenwärtig. Eine Entwicklung, sowohl individuell als auch gesellschaftlich-ökonomisch, kannte über Jahrzehnte nur eine Blickrichtung – die in den Westen, in die freie Welt. Und bei den Menschen entwickelte sich ein Phänomen, das man bei allen in ähnlichen Situationen lebenden Wesen diagnostizieren kann. Die Abhängigkeit von denen, die von der freien Seite den gefangenen Vogel füttern, wird zur Gewohnheit oder der Vogel fliegt irgendwann dann auch nur noch in eine Richtung, denn dort kommt das Futter her. Genau das ist in den Köpfen vieler Menschen im Landkreis Helmstedt eingeprägt worden – die fütternde Hand und der einseitige Freiraum. Ich spreche hier nicht von den Generationen, die diese Grenze nur noch als Geschichtsphänomen kennen, denn diese sind für gewöhnlich noch nicht in relevanten Entscheiderpositionen, die die Regionalentwicklung maßgeblich beeinflussen. Aber um genau die, die in den Entscheiderpositionen aktuell sind oder sie gerade übergeben,  soll es ja hier gehen.

Der sozio-ökonomisch perspektivische Ansatz klang bereits mehrmals an. Hier soll er einmal konzentriert beschrieben werden. Einen sozio-ökonomischen Austausch gab es im Alltag der angestellt arbeitenden und unternehmerischen Menschen überwiegend nur in eine Richtung, eben in die westliche. Um in den ehemaligen sogenannten Zonenrandlagen für ausgewogene bundesdeutsche Lebens- und Wirtschaftsverhältnisse Sorge zu tragen, mussten, wie kann es anders sein, eigens auf diese Situation zugeschnittene Förderprogramme etabliert werden, die dafür Sorge trugen, dass die Menschen, Firmen und Arbeitsplätze in diesem abgeschnittenen Wirtschafts- und Lebensraum verblieben. Es wurden Milliarden an Finanzmitteln aufgebracht, die dann in der Folge hervorragend ausgebildete Nehmerstrukturen in bestimmten Branchen ausbildeten. Der Begriff „verlängerte Werkbänke“ im Zonenrandgebiet ist in der einschlägigen Literatur eingehend beschrieben und untersucht worden. Bestimmte industrielle Branchen kamen bevorzugt in dieses Gebiet, um dort mit ganz erheblicher finanzieller Unterstützung des Staates industrielle Vorfertigungen zu etablieren. Der Fahrzeugbau, der Bergbau, die Textilfertigung, der spezialisierte Maschinenbau u.v.m., um hier nur einige Beispiele zu nennen, konnten in genau diesen Nischen nur wegen der Förderung überleben und überlebten auch nur bis zu dem Zeitpunkt, als die Zonenrandförderung nach der deutsch-deutschen Widervereinigung abgebaut wurde und in einem wiedervereinigten Deutschland dann die östlichen Bundesländer zu den höchst subventionierten Ländern in der EU wurden. Die Folgeerscheinungen waren brutal, denn innerhalb weniger Jahre brachen die Werkbankstrukturen weg, Deutschland organisierte sich als ganzer Wirtschafts- und Lebensraum um und man kann durchaus sagen, es erfand sich sogar völlig neu. Im Übrigen wurde der gesamte Raum erneut durch eine Grenzziehung leidend – dieses mal war es eine Subventions- und Fiskalgrenze.

Und nun stellen wir uns Menschen in diesem Lebensraum vor. Ihre sozio-ökonomischenPerspektiven waren über Jahrzehnte durch relativ sichere und feste Strukturen gekennzeichnet. Der Bergbau, der Maschinenbau, das VW-Werk – und das alles brach innerhalb sehr kurzer Zeit auseinander und die Menschen sowie ihe sozial-ökonomischen Strukturen mussten sich neu organisieren.

Der bereits 1989 längst überfällige Wandel in den Sozialökonomien des Westens Deutschlands trat mit einer solchen Vehemenz auf, dass binnen weniger Jahre – die Wiedervereinigungseuphorie ebbte bereits ab – die Menschen plötzlich erkennen mussten. Nichts war mehr wie vorher. Alle Grundfesten wurden zerstört und ließen sich auch nicht mehr ersetzen.

Und jetzt kommt der eigentlich kritischste Punkt. Die Entscheidungsgremien im Landkreis Helmstedt erneuerten sich NICHT mit derselben durchgreifenden Dynamik wie es das gesellschaftliche Leben drum herum tat. Im Gegenteil. Die Gremien sind bis zum heutigen Tage gekennzeichnet von alten Menschen. Die wenigen Jungen sind wie in allen machtverantwortlichen Gremien nur die, die sich durch eine sublime Dienerschaft oder eine ausgeprägte Ellbogenmentalität oder einfach nur, weil sonst keiner den Job machen will, dort hin gearbeitet haben. Die bierselige „Ich hab euch alle lieb“ und „Ich mach eine Show, die euch Alten gefällt“-Spiele sind als ubiquitär zu diagnostizieren. Wir treffen als kaum Menschen in den politischen Gremien an, die in ihren besten Jahren in Beruf und Verantwortung stehen, sondern ältere und alte Menschen kennzeichnen die politischen und verbandlichen Gremien.Man möge nicht denken, dass ältere und alte Menschen schlecht sind, doch in diesem, hier dargestellten Fall spielt das Alter eine besondere Rolle.
So, und nun wieder zurück zur Regionalentwicklung.

Zeichnen wir unter den oben angeführten Prämissen ein Psychogramm des Landkreises Helmstedt, so werden wir feststellen, dass im Bereich Entwicklung, Mut, Ausdauer, Sachlichkeit, Perspektivpotenzial die Kurve fast gen Nullpunkt geht. Dafür zeichnen wir bei der geselligen, bierlaunigen, machtbesessenen Unsachlichkeit aus welchen Gründen auch immer, und bei der anachronistischen, weil nicht mehr in verantwortlicher Position und damit auch nicht mehr am Puls der Entwicklungen und der Zeit, befindlichen Denkweise  Maximalwerte ein.
Woran kann man die einzelnen Indikatoren im Diagramm messen? Ganz einfach. An den Handlungen – also den Entscheidungen. Wir verwenden bei der Untersuchung folgende Fragestellungen: gibt es weitreichende Strategien, gibt es kooperative Synergien, sind die Entscheidungen durch Weltoffenheit, Zugewandtheit, Empathie und Mut zur Lücke gekennzeichnet? Gibt es integrierende und interdisziplinäre Arbeits- und Entscheidungsfindungsszenarien?
Meine Antwort lautet Nein. Also ist die Kurvengebung durch asymptotische Elemente in den relevanten Bereichen gekennzeichnet.
Gibt es kurzsichtige und durch Egoismen gekennzeichnete, nur das Tagesgeschäft betreffende Handlungen? Werden nur die zur Entscheidung gebeten, die zur auserwählten Mitgliedschaft gehören? Sind die Gremien untereinander vereinzelt und entscheiden auch so? Die Antwort lautet meiner Meinung nach Ja.
Ergo haben wir bei diesen Indikatoren mittlere bis maximale Werte.

Eine dermaßen ausgeprägte Psychographie hat für alle entwicklungsrelevanten Entscheidungen signifikante Wirkung. Diese möchte ich hier thesenartig darstellen, denn noch bedarf es einer viel genaueren Analyse, um die Unterscheidungen verschiedener Typen herauszuarbeiten. Auch ist das Indikatorengefüge noch zu präszisieren und zu ziselieren.

These 1: Ein wie o.a. ausgeprägtes Psychogramm läßt die Vermutung zu, dass das Selbstwertgefühl und damit das Selbstbewußtsein weniger ausgeprägt ist.

These 2: Ein wie o.a. Psychrogramm legt die Vermutung nahe, dass sogenannte Heilsbringereffekte erkennbar werden

These 3: Ein wie o.a. Psychogramm könnte der Grund für Entwicklungsrückstände bei der zukunftsorientierten Verbesserung der Wohn- und Lebensräume sein

These 4: Als Zusammenfassung der Thesen 1-3 neigen Regionen mit einem solchen Profil dazu, sich gegenüber zukunftsweisenden und folglich riskanten Investitionen ablehnend zu verhalten

These 5: Regionen mit einem so gearteten Profil sind gegenüber gesellschaftlicher Integration, Migration und Inklusion ablehnend und dauerhaft zurückhaltend

Die Thesenbildung soll der geneigten Leserschaft den Zugang zur Psychographie der Regionalentwicklung erleichtern helfen. Sie sind sozusagen das Rüstzeug für alle weiteren und vertiefenden Untersuchungen und beleuchten gleichzeitig ein bis dato nur lückenhaft beschriebenes Ursachengefüge in der Diskussion zur Regionalentwicklung.

Am Beispiel des Landkreises Helmstedt wurde hier der Versuch unternommen, ein Psychogramm zu eruieren, das ggf. eine erste Typisierung ermöglicht und damit auch als neuer Therapieansatz zur Verfügung stehen könnte. Wenn eine Kategorisierung und Typisierung über eine solche Diagnoseform möglich sind, dann lassen sich in der Folge dessen auch adäquate Therapieansätze entwickeln. Grundsätzlich beleuchtet diese Herangehensweise die in der Praxis immer wieder auftauchende Fragestellung, weshalb sich Entscheidungsgefüge teilweise über Jahrzehnte gegen Reformen aktiv und zeitverzögernd verwahren und zu Handlungen neigen, die entgegen vernunftbasierter, prospektiver und investigativer Vorgehensweisen stehen, wie sie an erfolgreichen Standorten (Regionen) vorgenommen werden.

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